Hallo, liebe Schildkröten-Gemeinde,

Tier"liebe" ist oft Ursache großen Tierleids. Vor allem als Kind ist es schwer einzusehen, dass das Tier eigene Bedürfnisse hat, die mit dem eigenen Wunsch nicht in Einklang stehen. So habe auch ich Tiere gehalten: Fische, Kaulquappen, Frösche, Eidechsen, eine Dohle, einen Siebenschläfer, einen Zaunkönig, ein Eichkätzchen...

Aber im nachhinein musste ich feststellen, dass keines der Tiere bekommen hat, was es gebraucht hätte. Dazu gab es ein Schlüsselerlebnis: Mit 35 endlich konnte ich meinen Wunsch erfüllen, mir einen Hund zuzulegen. Der Hund war ganz was anderes: Das erste Mal hatte ich das Gefühl, dass es dem Tier bei mir richtig gut geht, dass es sich des Lebens freut... Alles vorher war Tierquälerei. Das hatte ich als Kind nicht gewusst.

Als ich dann vor knapp 20 Jahren von meinem Kollegen eine kleine Schildkröte bekam, konnte ich nicht widerstehen: Immer, mein ganzes Leben hatte ich mir eine Schildkröte gewünscht. Als Wiener ohne Garten kaufte ich ein Terrarium - und alles, was dazugehört. Aber da merkte ich: Das Tier hat ein Defizit, das sah ich bald am Verhalten. Daher habe ich sie dem Kollegen zurückgegeben, dessen Schwiegermutter einen Garten hatte. Dort war das Tier bis 2009, als es wieder zu mir hereingeschneit kam. Da hatte ich gerade den Findling Herkules aufgenommen - und der Garten vom gerade gekauften Weinviertler Haus war von mir schildkrötensicher angelegt worden. Nu, diese kleine Kröte (war damals einjährig) ist heute meine 4-kg-Ida.

Warum ich das erzähle? Wenn ich in einem meiner Gehege sitze, habe ich wieder das Gefühl, dass Tiere bei mir kaum ein Defizit haben. Das sind so die glückseligen Momente, wenn ich merke, dass es ihnen gut geht.

Ist dieser Eindruck richtig? Können wir europäische Landschildkröten ohne Defizit für die Tiere halten? Woran merk ich, dass Ihnen etwas nicht passt, woran, dass sie glücklich sind?

Was meint ihr? Wie erlebt ihr die Bedürfnisse eurer Tiere?

LG Herbert

Hallo Herbert,

Gute Frage. Mir ging es vor 15 Jahren in etwa auch so.
ich hatte unsere ersten 4 Tiere aber dann schon in einem "Freigehege". Allerdings die erste Zeit auch nur mit einem Schutzhaus ohne Technik. Im Internet gab es damals nicht soo viel zum lesen. Aber ich habe unsere Tiere mit Kräuter gefüttert bzw. hatten sie ja im Freigehege und Winterstarre durften auch alle halten (obwohl vom Züchter in dieser Hinsicht wenig Informationen kamen.)
Ich fand damals die Haltung OK. Leider haben die Tiere keine Mimik um Freude, Leid etc. auszudrücken, also kann ich auch nicht sagen, ob sie glücklich waren oder nicht. Ich habe dann, dank Internet, die Haltung weitere optimieren können und dachte vor 10 Jahren, das nun alles "perfekt" sei.

Was soll ich sagen, auch hier konnten mir die Tiere nicht zum Ausdruck geben, ob sie glücklich sind.

Aber durch immer bessere und mehr informationen aus dem Internet und aus Büchern/Workshops (ich muss auch gestehen, das mich das Hobby seit 6,7 Jahren immer mehr fesselt und regelrecht süchtig macht) wurde meine Haltung in meinen Augen immer besser. Ob die Tiere glücklich sind?..ich hoffe es...

Aber auch durch dieses Forum, immer wieder Austausch mit anderen Haltern etc. sehe ich doch, das ich immer noch viel Luft nach oben habe, was mein Wissen angeht. Dachte ich vor 15 Jahren wäre meine Haltung ganz gut, wurde ich eines besseren belehrt. Vor 7 oder 8 jahre fand ich schon meine Haltung ziemlich gut.....Aber im nachhinein stellte ich fest, das es nicht soo optimal war.

..in 10 Jahren wird es sehr wahrscheilich wieder mehr Wissen über die Tiere geben und ich weiter optimiere.......Leider werden es mir die Tiere nicht direkt zeigen können, ob sie glücklich sind oder nicht (außer bei einer 100% Schlupfquote)

Ich denke, wir können unseren Tieren nach besten Wissen und Gewissen eine optimale Haltung anbieten, wenn wir uns bzw. unsere Haltung immer wieder hinterfragen und immer weiter forschen...
denn leider gibt es ja auch genügend andere Beispiele: Halter, die seit Jahrzehnten "züchten" und auf dem Wissenstand der 80-er Jahre sind und ihre Haltung damit verteidigen, das ihre Tiere ja "schon" seit 30 Jahren so leben und "gesund" sind.

Ich für meine Teil werde weiterhin alles neue Infomationen "aufsaugen" und die Haltung weiter optimieren...

und vielleicht werde ich dann eines Tages ein Lächeln einer meiner Schildkröten erblicken..

in diesem Sinne

euch ein schönes Wochenende!

gruss
Torsten

Hallo Herbert,

Zitat von Mayer im Beitrag #1

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Ist dieser Eindruck richtig? Können wir europäische Landschildkröten ohne Defizit für die Tiere halten? Woran merk ich, dass Ihnen etwas nicht passt, woran, dass sie glücklich sind?

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Hallo, ich glaube Eure Antworten treffen schon das Richtige: Es ist bei Schildkröten einfach schwieriger auf ihre Verfassung zu schließen - und vom Gesicht kann man nur bedingt was ablesen: Aber jeder von uns kennt den vitalen Blick dieser Schildkröten-Augen, der fragt: "Was kostet die Welt?"

Ja, es ist schwieriger sich in eine Schildkröte zu versetzen als in einen Hund. Sie ist evolutionsgeschichtlich 220 Millionen Jahre von uns entfernt. Trotzdem, glaube ich zu erkennen, wenn es ihnen gut geht: wenn sie an einem Sommertag im Halbschatten chillen, wenn sie sich genüsslich ein Bad geben, wenn sie meine steilen Legehügel erklimmen, dort leckere Malven suchen und finden und nach dem Fressen mit Ruderbewegungen wieder runterrutschen.

Man erkennt auch, wenn es ihnen nicht so gut geht. Z.B. wenn meine Kleo in den großen Garten will, es aber nicht geht, weil gerade das Dach gedeckt wird, und sie ungeduldig am Tor des Geheges auf und ab läuft. Oder Ida als sie das Schichtei hatte - in der Natur wäre sie allerdings elendig verreckt.

Ich musste auch lernen: Früher schnitt es mir ins Herz, wenn es Herbst wurde und ich sie steif herumstaksen sah, ohne zu fressen, das bisschen letzte Funzel-Sonne nützend. Da hätte ich sie am liebsten alle in die warme Wohnung verfrachtet. Auch war es schwer für mich zu begreifen, dass meine Sonnentiere im kalten, feuchten Keller dahinschlummern. Heute glaube ich zu wissen, dass dieses Sich-Einwintern und die Kältestarre für sie sicher nicht Leiden im herkömmlichen Sinn bringt. Das wäre Luxus, den Mutter Natur nicht gestatten würde, weil ein solches Leiden sinnlos viel zu viel Energie dem Tier nehmen würde. Ich finde jetzt sogar, dass sie sich wohl fühlen in ihrer winterlichen kalten Geborgenheit. Es ist nur für uns erst einmal schwer nachvollziehbar.

Natürlich glaube ich, dass, wenn man sich einigermaßen bemüht, man sich wohlfühlende Tiere hat: Aber jedes Tier ist nicht gleich und hat verschiedene Ansprüche: Meine 4-kg-Ida ist mit den 150 m², die sie mit Kleo und einigen Halbwüchsigen teilt, immer voll zufrieden. Nie habe ich sie an der Gehege-Grenze hin und her laufen sehen. Bei der 2-kg-Kleo ist das anders: Sie verhält sich tagelang normal und auf einmal will sie stantepede in den Garten und läuft am Tor auf und ab. Ich lass sie halt sooft wie möglich in den Garten. Allerdings erst, wenn die Frostgefahr gebannt ist. Im Sommer lebt sie wochenweise dort. Meine Veccia, die 80-jährige Boettgeri, hat Jahrzehnte auf einem kleinen Balkon gelebt. Als ich ihr dann vorerst 15 m² gab, konnte man sehen wie sie auch in diesem relativ kleinen Gehege richtig auflebte. Man merkt, wenn ein Tier mit dem Gehege im Einklang lebt. Es gibt also Tiere, die mehr Platz brauchen, andere weniger.

Eine wichtige - und vor allem von Anfängern vernachlässte Tatsache ist das Geschlechtsleben der Schildkröten, das Komplikationen mit sich bringen kann, die den Tieren viel Stress bringen. Bei manchen geht es gut - in anderen Gruppen nicht. Ich glaube, ich handle (händle :-) jetzt meinen Graeca-Mann gut, so dass weder bei den Damen noch bei ihm viel Stress aufkommt. Sex-Probleme bei Schildkröten sind ein ganz gewichtiger Stress-Faktor. Das soll man nicht unterschätzen. Das ist ein Punkt, wo es ihnen schlecht gehen kann.

Also, ich bin überzeugt, dass es möglich ist, Schildkröten so zu halten, dass sie ein schönes Leben haben. Wenn es nicht so wäre, würde ich mit der Schildkröten-Haltung aufhören.

Liebe Grüße!

Herbert